
Zwischen System und Seele
Wenn Vielfalt leuchtet: Inklusion als gelebte Haltung
veröffentlicht von Anika Czipfl
30. April 2025
Ich habe diesen Titel gewählt, weil er dazu einlädt, sich über das Spannungsfeld institutioneller und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit den Facetten eines jeden Menschen auseinanderzusetzen. Ja, es sind zwei Pole - und viele Menschen aus der Praxis kennen den Druck, welcher in diesem Spannungsraum entstehen kann. Ich möchte nicht polarisieren mit den zwei Begriffen, sondern versuchen eine Brücke zu bauen: eine, die trägt – mit all unseren Überzeugungen, Hoffnungen und auch den Herausforderungen.
Wenn wir es schaffen, zwischen diesen Spannungen Räume für Beziehung zu halten, dann beginnt Inklusion zu leuchten. Nicht als Konzept, sondern als Haltung.
Möglicherweise haben Sie beim Wort Inklusion zuerst ein Bild vor Augen – vielleicht eine Person in einem Rollstuhl.

Fragt man Rollstuhlfahrer*innen nach Barrierefreiheit oder deren Erfahrungen diesbezüglich wird einem schnell bewusst, dass auch hier noch ein großes Stück Weg vor uns liegt.
Und Inklusion greift noch so viel weiter als Beeinträchtigungen der Motorik.
Inklusion ist so viel mehr.

Was ist Inklusion für mich?
Sie meint Zugehörigkeit – unabhängig von Fähigkeiten, Geschlecht, Glaube, Sprache, Verhalten oder Herkunft. Inklusion fragt: Was brauchst du, um dich sicher, gesehen und gemeint zu fühlen?
Ich weiß, dass viele Menschen längst auf einem bewussten und achtsamen Weg sind.

Ich bin mir bewusst, dass Viele das Wesentliche längst verstehen und es in Ihrem jeweiligen Wirkungskreis und Leben bereits umsetzen. Ich weiß auch, dass viele Menschen den Blick fürs Kind hinter dem Verhalten haben – und für die Würde hinter jedem Widerspruch schützen.
Ich erlebe, dass Räume geschaffen werden, in denen Kinder atmen dürfen. Meine Erfahrung ist auch: Eine sehr große Herausforderung ist oft nicht das Verhalten der Kinder oder wie manchmal von Fachkräften rückgemeldet die Bedürfnisse von Elternteilen, – sondern die systemischen Hürden, was das System aus manchen Menschen gemacht hat oder noch immer macht. Diese Herausforderungen wirken nicht nur im Großen – sie zeigen sich im ganz Alltäglichen.
Systemische Stolpersteine
Ein Träger, der vielleicht nicht trägt. Eine Leitung, welche mehr Wert auf die Außenwirkung als auf die inneren Werte ihrer Einrichtung legt. Eine Person die in einem Beruf, welcher als Kernkompetenz Reflexionsfähigkeit erfordert, nicht fähig oder bereit dazu ist zu reflektieren. Ein Teammitglied, das sich nicht traut, Haltung zu zeigen. Ein Alltag, der wenig Pausen kennt. Burnout, das uns - hoffentlich nur aus der Ferne - zuwinkt und daran erinnert, wie bedeutend es ist, gesund mit den eigenen Kräften zu haushalten. Ein Personalnotstand der es immer leichter möglich macht, dass ungeeignetes Personal - und ich meine hier die persönliche Einstellung und nicht den Berufsabschluss - in Bildungseinrichtungen arbeiten darf. Jugendämter und Aufsichtspersonen, die aufgrund der rechtlichen Vorgaben die Bürokratie stärker kontrollieren, als das Wohl der Menschen in den Institutionen. Was bringt es, wenn mehr Wert auf die, ohne Frage meist sehr ausführlichen und äußerst kompetenten theoretischen Konzepte und Dokumentationen gelegt wird, als auf die reale praktische Umsetzung? Eine Politik die aktuell gerade ermöglicht, dass die Ausbildungsqualität der pädagogischen Berufe drastisch sinkt. Eine Gesellschafft, welche die Auswirkungen bereits wahrnimmt, aber gegenwärtig dennoch eine zu leise Stimme für die aktuelle Lebenswirklichkeit von allen Kindern hat.
Aus Sicht der Kinder ist es meist – schlichtweg das Umfeld. Ein fehlendes Erkennen dessen, worum es gerade wirklich geht. Wie sieht es mit dem Zeitmanagement im Alltag von Kindern aus?

Wie frei darf ein Kind sein – in einer Welt, die ständig auf die Uhr schaut? Wir sprechen häufig über Zeitfenster, Tagespläne und Organisatorisches. Verwenden sehr viel Zeit für die Organisation von Festen und Feiern. Highlights und Besonderheiten im Jahr sind von Bedeutung und bereiten Kindern schöne Erinnerungen. Wie sieht es mit der Zeit zwischen diesen Höhepunkten im Jahr aus? Hetzen wir von einem zum nächsten oder gelingt es, den Zeitfenstern dazwischen mit derselben Achtsamkeit und Hingabe zu begegnen?
Wofür nutzen wir unsere Zeit?
Oft ist weniger mehr. Dies bedeutet, dass wir Kindern Zeit schenken müssen. Dies wiederum bedeutet in keinem Fall, dass sie unsere Unterstützung und Begleitung nicht benötigen.
Vielleicht erinnert uns dieses Bild daran, dass Entwicklung von allein geschieht, auch den Takt darf man kurz loslassen – und Kindern ab und zu den Raum zum Fliegen geben.
Und für das Fliegen benötigen Kinder Sicherheit, in Form von Präsenz: ein feinfühliges und ausbalanciertes Loslassen, Begleiten und unterstützend zur Seite stehen, wenn Unbekanntes der Welt verstanden werden möchte oder herausfordernde Situationen Schwierigkeiten bereiten, ist die Kernaufgabe von Pädagog*innen. Inklusion in diesem Kontext bedeutet, dass diese Haltung für jedes Kind von Bedeutung ist.
Das Wertvollste, was wir für diese Aufgabe haben, – unsere Zeit – ist der wahre Schlüssel für Inklusion.

Zeit als Schlüssel
Zeit nehmen bedeutet für mich: Präsenz statt Perfektion. Wenn wir Kindern Zeit geben, schenken wir ihnen nicht bloß Minuten oder Stunden – wir geben ihnen echtes Dasein.
Nicht perfekte Abläufe, sondern Begleitung. Vor allem, wenn es um Regulation starker Gefühle und dem Reinwachsen in die Fähigkeiten, die man für ein friedliches Miteinander braucht, ist dies von enormer Bedeutung.
Sehr viel mehr Zeit sollte man sich auch dafür nehmen, Lernen an das Wohlbefinden zu knüpfen. Lernen sollte Entfaltung ermöglichen und mit Vertrauen gedeihen. Ein Glucksen und gemeinsames Lachen über etwas das schief geht hat deutlich mehr Potential als aufwendige Einleitungen bei Angeboten. Ich wünschte, es gäbe in der Ausbildung, ein eigenes Unterrichtfach zu den Themen Kritikfähigkeit (für die Erwachsenen), Reflexionsfähigkeit und Interaktionsqualität hinsichtlich unseres demokratischen Bildungsauftrages. Ebenso wünsche ich mir bereits seit Langem Kontrollen bezüglich der Anleitungskompetenz, wenn es um die Ausbildung geht. Leider wird bei sehr vielen Ausbildungen, unabhängig davon, ob dies klassisch oder über den Quereinstieg geschieht, immer noch über den Fokus "angeleitetes Angebot" geprüft. Für die wahren Herausforderungen einer Bildungseinrichtung, gerade im Hinblick auf Inklusion, was auch jede einzelne Kindergruppe betrifft, benötigt es Kompetenzen, welche ausgebildet, gelernt und erfahren werden dürfen. Auch wir Erwachsenen dürfen uns die Zeit für diese Prozesse geben.
Zeit schenken heißt auch Räume für intrinsisches Lernen schaffen. Gehirne von Menschen, die etwas brauchen aber dies nicht bekommen, schütten Stresshormone aus und empfinden dies mitunter als genauso bedrohlich und schmerzhaft, wie körperlichen Schmerz. Dieses Wissen ist für das Lernen bedeutend. Und Kinder brauchen Zeit, um den eigenen inneren Kompass zu spüren und entwickeln zu können.
Ich möchte kein Maßstab sein und niemanden mit oberflächlichen Floskeln wie „Das ist alles wichtig“, „Arbeiten Sie so oder so“ „Machen Sie weiter“ oder „Schauen Sie genauer hin“ bewerten, langweilen oder motivieren. Ich bin der Meinung und dies gilt besonders für die schnelllebigen Momente mit Kindern: Bei sich bleiben. Sich an sein eigenes Warum erinnern. Wissen was einen stark macht. Nicht Perfektion, sondern Verbindung. Nicht die Antwort, sondern die Frage. Fragen wie zum Beispiel: Wie nutze ich Zeit? Das sind die Schätze von Entwicklungsbegleitenden.
Ist es herausfordernd, Inklusion zu leben? Wenn es um Rahmenbedingungen geht lautet die Antwort vermutlich häufig ja.
Wenn es um den Kern geht: nein.
Inklusion ist einfach. Wunderschön. Wahrhaftig. Und wenn man Inklusion verstanden hat, braucht es all diese Adjektive und Wertungen gar nicht. Inklusion ist.
Es benötigt keine Behinderung, Diagnose oder irgendein Label für dieses Dasein. Anmerken möchte ich auch, dass Diagnosen dennoch Sinn machen, gerade wenn es darum geht anzuerkennen, dass Menschen aufgrund von Erkrankungen oder Behinderungen unterschiedlich vom Leben herausgefordert werden. Ich möchte ausdrücken, dass unabhängig von diesem Fakt, dennoch ein jeder Mensch täglich mit Inklusion in Berührung ist, unabhängig von Schubläden.
Weshalb fällt es uns Menschen gelegentlich schwer inklusiv miteinander umzugehen?
Es gibt zahlreiche verletzende Strukturen, wenn wir uns die gegenwärtige Inklusion anschauen. Und es reicht nicht mit dem Finger irgendwohin zu zeigen und zu sagen „Die sind schuld...“, weil die Rahmenbedingungen zum Beispiel nicht passen. Ich wünsche mir, dass wir bei uns anfangen.
Sprechen wir von Vielfalt – aber messen unseren Erfolg unserer Arbeit häufig am Funktionieren? Erwarten wir von uns selbst, dass wir über unsere Grenzen gehen, während wir ein Selbstfürsorgeprogramm nach dem anderen besuchen? Können wir in dunklen Momenten unser eigenes Leuchten und das der anderen sehen? Wie begleiten wir Kinder in ihren herausfordernden Momenten?
Ich erlebe in der Praxis immer noch zu wenig Haltungen, die im aus der Reihe tanzen den individuellen Takt eines Menschen erkennen.

Wenn wir über Inklusion sprechen, denken viele zuerst an Unterschiede, an Kategorien, an das, was sichtbar ist. Dieses Bild hat für mich eine treffende Bildsprache für den Begriff Individualität. Eine weitere Interpretation könnte sein: Das Bild grenzt aus.
Echte Vielfalt – die, die trägt – zeigt sich in den Unterschieden.
Sie lebt in den kleinen Nuancen, in der Verschiedenheit.

So wie hier: kein Schirm gleicht dem anderen. Und gerade darin verbirgt sich mit vielen weiteres Aspekten, auch eine Stärke – im bunten, lebendigen Miteinander. Gleichzeitig hat jeder Schirm eine andere Nuance. Jeder Mensch ist anders. Es gibt Unterschiede in der Entwicklung und auf niederbayerisch: A jeder hod sei eigenes Backerl.
Interaktion statt Perfektion
Was tun, wenn sich ein Kind unsicher fühlt, weil es sich anders wahrnimmt oder das Bedürfnis nach Zugehörigkeit nicht erfüllt wird und erschwerend hinzukommt, dass dies ungesehen bleibt. Wir wissen: Ein Kind, das sich nicht sicher fühlt, lernt nicht. Und wenn es sich sehr unsicher fühlt, schützt es sich. Unsere Aufgabe ist es, diesen Schutz zu verstehen – nicht zu bekämpfen. Hier erlebe ich in der Praxis seit Jahren starke Widerstände
Eine wichtige Kernfrage für unseren Alltag - Grüße aus der Kommunikationswissenschaft: Sollen die Kinder auf eine von uns vorgegebene Weise senden? Oder liegt es an uns, die Frequenz so einzustellen, dass wir wirklich empfangen können? Wie kodieren und dekodieren wir unsere Interaktion? Haben wir verstanden, dass es bei der gewaltfreien Kommunikation nicht um Techniken oder aufgesetzte Freundlichkeit geht? Reflektieren wir die Bedürfnisse hinter unserem Verhalten und dem der uns anvertrauten Menschen? Sind wir uns darüber bewusst, dass die unbemerkten Bedürfnisse - Bindung, Autonomie, Sicherheit, Entspannung - die Hauptgründe für herausfordernde Verhaltensweisen sind und berücksichtigen wir dies in unserem Alltag?
Es ist kein Geheimnis: Gute Haltung ermöglicht Gutes. Schwierige Haltungen erschweren alles. Die am häufigsten angefragten Fortbildungsthemen betreffen den Umgang mit Kindern mit herausfordernden Verhaltensweisen. Ich wünschte mir hingegen manchmal es gäbe mehr Fortbildungsangebote für „Erwachsene mit ungeklärten und vor allem unreflektierten herausfordernden Verhaltensweisen“ Ich frage mich sehr oft: Wie viel von dem, was wir als herausfordernd empfinden, ist in Wirklichkeit ein Ruf der Kinder nach Sicherheit? Berücksichtigen wir das innere Wohlbefinden und auch das innere Wachstum im Hinblick auf die kindliche Entwicklung genügend? Wo sind wir Ursache für Spannungen und Eskalationen? Erwarten wir Funktionieren dort, wo es viel mehr unsere Aufgabe wäre zu begleiten?

Einen Kindersitz sichern wir fest – ganz gewissenhaft, weil uns klar ist: Sicherheit ist nicht verhandelbar.
Emotionale Sicherheit? Diese ist schwerer greifbar – und trotzdem genauso entscheidend.
Unsichtbar – und doch lebenswichtig.
Nur wer sich innerlich sicher fühlt, kann sich zeigen, gehört fühlen, sich selbst annehmen und sich zugehörig fühlen.
Inklusion beginnt genau hier: Wenn wir begreifen, dass Schutz nicht ausschließlich bei der äußeren Unversehrtheit eine Rolle spielt.
Halten uns Kinder in den besonders anspruchsvollen Situationen einen Spiegel vor – und laden uns dazu ein, über unser eigenes Verletzungspotenzial nachzudenken? Die gesündeste und zugleich herausforderndste Vorgehensweise turbulenten Momenten, vor allem in Hinblick auf Kinderschutz und Inklusion zu begegnen, ist es eigenverantwortlich, selbst wirksam und ohne Schuldzuweisung Entscheidungen zu treffen.
Und manchmal, wenn wir glauben, alles richtig zu machen oder wir davon überzeugt sind, dass jemand anders Sachen nicht richtig macht, lohnt sich ein Perspektivenwechsel – wie ihn Lukas Strobel in einem seiner Songs beschreibt: „Spoilerwarnung: Die anderen glauben auch, sie wären die Guten.“ am allermeisten.
Strukturelle Beispiele für nicht inklusives Vorgehen, welche ich selbst in großer Anzahl wiederkehrend erlebt habe: Eingewöhnung mit Zeitdruck. Erziehung durch Lob ("Auf Wiedersehen Selbstwirksamkeit" - und, wenn wir Pech haben "Hallo emotionale Abhängigkeit in Bezug auf die Meinungen anderer" eine sehr gefährliche Auswirkung in der heutigen medial-transparenten Welt), Strafe und Konditionierung als klassischen Standard. Erwartung von Gruppenfähigkeit ohne Rücksicht auf das individuelle Entwicklungstempo. Stilles Leiden – etwa durch Reizüberflutung oder Zwang im Morgenkreis oder bei Bastelangeboten. Und auch in der Sprache zeigt sich Ausgrenzung - in sogenannten Mikroaggressionen: „Möchtest du nicht dazugehören?“, „Schau mal, die anderen schaffen das auch.“, "Du musst das jetzt tun, weil ich das sage." (ohne dem Kind zu erklären, weshalb man ihm seinen eigenen Willen aufzwingt) Und dies ist nur ein kleiner Teil der Beispiele, welche ich in meiner Laufbahn erlebt und auch schon selbst falsch gemacht habe. Nur weil Fehler menschlich sind, entbindet uns das nicht von unserer Verantwortung, diese zu erkennen und daraus zu lernen. Menschen, die im beruflichen Kontext andere begleiten, haben eine sehr große Verantwortung Sorge dafür zu tragen, dass sie nach qualitativen Standards und nicht nach eigenen unreflektierten Glaubenssätzen arbeiten. Eltern, lade ich ebenfalls dazu ein sich auf diese Gedankengänge einzulassen, ohne Erwartungshaltung an eine bestimmte Meinung und ohne Ängste oder Sorgen schüren zu wollen.
Schauen wir uns mal die Entwicklungsbereiche Kognition, emotional/sozial und Wahrnehmung ein wenig genauer an. Hier machen Kinder meiner Erfahrung nach, vor allem in der institutionellen Umgebung die häufigsten Erfahrungen, welche ich als weniger förderlich für eine gesunde Entwicklung wahrnehme.
- Kinder mit reizoffener Wahrnehmung: überfordert durch Lautstärke, visuelle Reize, Gerüche, zu viele Angebote, zu wenig Rückzugsmöglichkeiten
- Kinder mit Verzögerungen in der Sprachentwicklung: viel fühlen, wenig sagen, zu wenig alltagsintegrierte Sprachförderung
- Kinder mit unsichtbaren oder (noch) nicht diagnostizierten Behinderungen - Die Fähigkeit sich auf die Sicht einzulassen, dass jeder Mensch etwas anderes für seine jeweilige Situation benötigt. "Dann wollen die anderen das ja auch." ist kein reflektierter und schon gar kein pädagogisch fundierter Satz.
- unruhige Familiensysteme (Suchterkrankungen, psychische Krankheiten, häusliche Gewalt) oder die scheinbar „pflegeleichten“ Kinder, welche nicht auffallen, aber deren Bedürfnisse genauso wichtig sind und erfüllt werden möchten, selbst wenn diese nicht laut und auffällig sind
- Kinder, welche statt Ko-Regulation und Begleitung lediglich Aufforderung, oft in Form von Druck, Drohungen oder Strafe erhalten
- Kindern kein emotionales Echo auf eine für das Kind schwierig empfundene Situation zu geben ist eine Form von seelischer Gewalt, ganz gleich was unser Erwachsenengehirn zu der Situation denkt. Dies bedeutet nicht permanente Wunscherfüllung. Unsere Aufgabe ist: Begleitung. Jedes Kind benötigt etwas anderes und ein spannendes Gedankenspiel: auch wir Erwachsenen benötigen alle etwas anderes um dies authentisch und beziehungsorientiert zu meistern. Sich das bewusst zu machen verändert pädagogischen Handeln zum Positiven.
Was wir nicht sehen, benennen wir nicht. Und was wir nicht benennen, schützen wir nicht. Deshalb braucht es unsere Augen – und unser Wissen. Unsere Sprache – und auch unser Schweigen, wenn Zuhören gefragt ist. Inklusion braucht Reflexion, Wissen und Haltung. All diese Punkte sind bedeutend.
Kinder wahrnehmen statt bewerten
Gelingende Inklusion ist einfach:
- Beziehung statt Bewertung: Nicht „Was kann das Kind?“, sondern „Wie fühlt es sich?“ - Kein Kind ist ein Projekt. Jedes Kind ist Mensch.
- Sicherheit vor Leistung: Wer sich sicher fühlt, muss nicht kämpfen und kann wachsen.
- Begegnung statt Einordnung: Wenn ich aufhöre, in Schubladen zu denken, fange ich an zu sehen. "Du bist nicht dein Verhalten. Du bist du. Und das reicht."
In diesen Punkten, werde ich von einzelnen Eltern und noch mehr Menschen aus der eigenen Berufsgruppe oft missverstanden, deshalb ein klares öffentliches Statement: nein, diese Haltung bedeutet nicht, dass man alles erlaubt und durchgehen lässt. Kinder benötigen unsere Begleitung und auch unsere Impulse, unser Vorbild, unsere Unterstützung, unser Eingreifen, unsere Regulation. Diese Punkte bedeuten für mich, dass ich mir wünsche, dass wir mehr Wert auf die Gestaltung dieser Begleitung legen. Ich wünsche mir, dass wir uns Zeit nehmen über diese Zusammenhänge nachzudenken. Es ist ein Trugschluss, dass ein kurzer Konsum dieser Information ausreicht, um das was uns oft unbewusst beeinflusst so zu reflektieren, dass wir diese Haltung auch in unserem Tun umsetzen. Diese Aufgaben mit Kompetenz und Haltung lebendig und in Interaktion zu leben ist eine große und bedeutende Aufgabe.
Inklusion ist für mich, wenn ein Kind nicht mehr fragt: „Was stimmt nicht mit mir?“, sondern spürt: „Ich bin gemeint. Ich werde gesehen. Ich bin wichtig.

Isaac Newton sagte: „Was wir wissen, ist ein Tropfen. Was wir nicht wissen, ein Ozean.“ Ich liebe diese Demut vor dem Lernen, welche in diesem Satz mitschwingt. Und der japanische Dichter Ryunosuke Satoro ergänzte: „Jeder Einzelne ist ein Tropfen – gemeinsam sind wir ein Meer.“
Ich empfinde es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe Inklusion so zu leben, dass es allen Menschen gut gehen kann. In Bildungseinrichtungen trägt ein jede*r diese Verantwortung.

Wenn ein Kind erwachsen ist – was wird es über sich denken, wenn es in den Spiegel schaut? Wird es spüren: Ich bin gut, so wie ich bin? Oder wird es an sich zweifeln, weil es irgendwann gelernt hat, dass es erst leisten, sich anpassen oder fremdbestimmte Erwartungen erfüllen muss, um wertvoll zu sein? Wird es mit den Herausforderungen, welches das Leben bietet zurechtkommen? Wird es das Leben genießen können?
Das Kind im Spiegel wird sich später erinnern – nicht an alles und schon gar, nicht an jeden Satz, aber an das Gefühl, das wir hinterlassen haben. Unsere gegenwärtige Haltung ist das zukünftige Echo.
Ganz gleich, welche Überzeugungen oder Werte wir haben: Glaube, Menschlichkeit und Inklusion haben alle denselben Kern – Würde.
All das Geschriebene gehört zusammen. Inklusion ist kein Beiwerk – sie ist Fundament. Inklusion ist kein Extra. Sie ist das Ganze – und jede*r von uns ist ein Teil davon.
Gelingende Inklusion beginnt innen
Inklusion ist für mich keine Methode. Inklusion fragt: Wie kann ich dich so annehmen, wie du bist – auch wenn du anders bist als ich?
Wenn wir aufhören, Menschen zu kategorisieren und vergleichen, wenn wir sie wirklich sehen und fühlen – dann findet sie bereits statt.
Dann ist es auch nicht mehr wichtig, ob ein Mensch laut oder leise, schnell oder langsam, neurotypisch oder neurodivergent ist – neurodivers sind wir sowieso alle - sondern, ob es eine Umgebung hat, in der sich Menschen gesehen, zugehörig und wohl fühlen. In dieser Umgebung fällt es Menschen übrigens auch leichter die Grenzen anderer wahrzunehmen und dadurch einhalten zu können, sprich unsere Welt würde dadurch eine friedlichere werden.
Dort, wo Beziehung lebt, wird Inklusion lebendig – nicht als Konzept, sondern als gelebte Realität.
Ich schreibe dies, weil ich daran glaube, dass jedes Kind einen Platz verdient, an dem es sich nicht beweisen muss, um dazuzugehören. Ich schreibe dies, weil ich weiß, dass Fühlen wichtiger ist als Lehren – und dass ein Kind, das sich sicher fühlt, von selbst wächst. Für mich ist Beziehung kein pädagogisches Werkzeug – sondern der Boden, auf dem Vertrauen, Mut, Entwicklung und Würde wurzeln. Für mich beginnt Inklusion dort, wo wir aufhören, Menschen zu messen – und anfangen, einander wahrhaftig zu empfangen. Ich habe Hoffnung, weil ich die Erfahrung machen konnte: Wenn in herausfordernden Situationen Verbindung bedeutender ist als Anpassung oder das Funktionieren-müssen, dann gelingt Inklusion. Selbst unter den schwierigsten Bedingungen.
Wenn wir – als Menschen mit unterschiedlichen Vorerfahrungen, mit Haltung, mit Herz. Vielleicht mit manchmal müden, aber hoffentlich niemals gleichgültigen Augen.
Wenn wir – als Menschen, ganz gleich wie leicht, schwer oder bunt das jeweilige Lebenspäckchen ist. Menschen, die kämpfen. Die zweifeln. Die sich ohnmächtig fühlen. Die weitergehen, stehen bleiben, verschnaufen. Die spurten. Kritisch sind. Berührt. Alles, Teile oder nichts davon. Trotz und mit allem.
Wenn wir - als Menschen, die sich fragen: Wie halte ich meine Haltung – wenn mich niemand hält? Wie bleibe ich weich – wenn die Welt um mich herum in Chaos oder Härte ist? Wie bleibe ich klar – wenn ich mit einer inklusiven Haltung selbst Ausgrenzung oder Anfeindung erfahre?
Ich habe keine einfachen Antworten auf all diese Fragen. Aber ich habe Hoffnung – und ich glaube an die Kraft des Mitgefühls.
Lassen Sie uns füreinander da sein.
Wir sind nicht allein. Wir sind viele. Und wir können gemeinsam tragen.
Inklusion braucht Haltung. Und Haltung braucht Pflege. Und immer braucht es Stimmen.
Wir alle sind Stimmen. Jede auf ihre eigene, wertvolle Weise.
Vielleicht ist Inklusion am Ende nicht das Ziel – sondern das, was geschieht, wenn wir wirklich Mensch sind. Miteinander. Füreinander.
Für mich beginnt Inklusion dort, wo wir uns berühren.

Inklusion beginnt nicht mit dem Handeln, sondern mit dem Fühlen.
Mit dem, was uns innerlich bewegt – was uns innerlich ausmacht, was wir spüren und was wir andere spüren lassen.
Es reicht, einfach zu sein – offen, echt, berührbar, auf unendlich viele Art und Weisen.
Wo berührt das Leben Sie?
Wie werden Sie berührt – und wie möchten Sie berühren?
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